Ich schaue aus dem Fenster des Atlantic Airways Flug RC453. Unter mir der raue Nordatlantik. Keine Wolke ist am Himmel. Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Wasser, nichts als Wasser so weit das Auge reicht. Von hier oben sieht alles so friedlich aus und doch bin ich mir bewusst, dass ich in den nächsten 10 Tagen die Elemente der Natur in vollem Maße spüren werde.
Das Flugzeug geht in den Sinkflug, obwohl immer noch kein Land in Sicht ist. Wir sind vielleicht gerade noch 1.000 m über dem Wasser, als sich plötzlich die ersten schroffen Felsen der Färöer-Inseln gigantisch und ungeschliffen aus dem Meer erheben. Es wird holprig, eine Turbulenz folgt der nächsten und schüttelt das Flugzeug kräftig durch. Wir werden zum Spielball des Windes. Erst kurz bevor wir den Boden berühren wird es erschreckend ruhig und einen Moment später sind wir sicher auf dem Flughafen Vágar gelandet.
Wir sind das einzige Flugzeug weit und breit. Es gibt hier zwei Gates, aber nur eine Gepäckausgabe. Das Flughafengebäude ist überschaubar. Auf der Anzeigetafel werden 8 Flüge gezeigt. Erst später merke ich, dass dies die Flüge für die nächsten drei Tage sind!
Es ist Anfang März. Ich habe mich hier mit ein paar anderen Fotografen verabredet, um die Inseln zu erkunden und mich gemeinsam mit ihnen auf die Suche nach dem magischen Moment und dem richtigen Licht für das perfekte Foto zu machen…
Die Färöer Inseln liegen auf halbem Weg zwischen Schottland und Island – Mythen, Legenden, Fische und das Wetter – das sind die Themen, die das Leben auf den abgeschiedenen Inseln prägen. Gerade einmal 50.000 Menschen leben hier – zu ihnen gesellen sich rund 80.000 Schafe. Schafe findet man hier überall: am Straßenrand, in den Dörfern oder auf den rauen und steilen Klippen. Es gibt keine Ecke, wo man ihnen nicht begegnet.
Warum sich hier einmal Menschen niedergelassen haben, ist nicht wirklich verständlich. Viel zu abgelegen ist diese Inselgruppe vom Rest der Welt, viel zu schroff die Landschaft. Der karge Boden und die niedrigen Temperaturen machen Landwirtschaft unmöglich. Kaum ein Baum. Nicht einmal Insekten findet man hier, denn selbst im Sommer steigen die Temperaturen selten über 12° Celsius – es ist schlicht und einfach zu kalt. Nur Gras. Gras wächst überall. Diese Inseln sind perfekt für Vögel, aber für Menschen?
Erzählungen behaupten, dass hier die Männer an Land zurückgelassen wurden, die auf den langen Fahrten über den Atlantik Richtung Westen seekrank wurden. Das geht auch einher mit der Geschichte, dass die Leute hier – im Gegensatz zu anderen nordischen Ländern – nie wirklich große Seefahrer waren. Dennoch leben die Einheimischen heute zum großen Teil vom Fischfang…und von der Schafzucht.
Übers Wetter reden? Hier kann man es erleben!
Das Wetter kann man schnell beschreiben: windig, feucht und äußerst wechselhaft.
Auf strahlenden Sonnenschein kann innerhalb kürzester Zeit dichtester Nebel oder heftigster Regen folgen – und natürlich auch umgekehrt. Und wenn einem an der einen Ecke der Wind so stark entgegen weht, dass man sich kaum bewegen kann, ist es ein paar Berge und Buchten weiter absolut windstill. Das Wetter ist extrem lokal und völlig unterschiedlich.
Durch die Nähe zum Golfstrom herrschen trotz der geografischen Breite vergleichsweise milde Temperaturen: Im Sommer liegt die Durchschnittstemperatur bei 12 Grad Celsius, im Winter bei rund 3 Grad.
Wenn im Winter ein Tief die Berge auf der einen Seite mit einer dichten Schneedecke versieht, so strahlen einem auf der anderen Seite immer noch die grün-gelben Wiesen entgegen. Generell bleibt der Schnee – zumindest in den Tälern – nie lange liegen und auch die Häfen bleiben das ganze Jahr über eisfrei.
Von Tunneln und Fähren
Das Straßennetz ist – dem Verkehr entsprechend – sehr gut ausgebaut: Viele der Inseln erreicht man über zahlreiche Tunnel, die sowohl unter dem Atlantik durchführen als auch die Berge durchlöchern. Um die etwas weiter entfernten Inseln Sandoy und Suðuroy zu erreichen, muss man allerdings die Fähre nehmen. Eigentlich ist das kein großes Problem, da die Fähren mehrmals täglich fahren. Die Betonung liegt allerdings auf “eigentlich”. Denn hier kann einem das Wetter schnell einen Streich spielen – so verlief auch unser Tagesausflug auf die Nachbarinsel Sandoy etwas anders als geplant:
Sandoy – oft kommt es anders, als man denkt
Vom Anlegeplatz Gamlarætt nahmen wir die Autofähre – es waren ruhige 30 Minuten. Auf Sandoy angekommen fuhren wir etwas umher und landeten in dem Dorf Skarvanes. Viel gab es hier nicht zu sehen. Häuser, Wiesen und ein paar Schafe. Lediglich die großen Autos vor den Häusern zeugten davon, dass hier Menschen leben. Während wir durch die Gegend liefen und das eine oder andere Foto schossen, trat ein Mann vor die Tür seines Hauses und winkte uns zu. Es war Pete, der uns auf eine Tasse Kaffee oder einen Cognac einlud. “Die Schuhe dürfen wir ruhig anlassen”, sagte er, und so saßen wir kurze Zeit später mit unseren dicken Wanderbotten bei ihm in der gut geheizten Küche. Cognac hatte er dann doch nicht und so tranken wir Kaffee.
Wie alt Pete war, ist schwer einzuschätzen – ich denke, jenseits der 60 war er auf jeden Fall. Er ist hier aufgewachsen und erzählte uns Geschichten von den Menschen und den Inseln, von der Geologie und der Natur. Es war interessant. Ich hätte noch stundenlang zuhören können. Aber irgendwann mussten wir aufbrechen, um unsere Fähre zurück zu erreichen.
Als wir uns verabschieden wollten, schaute Pete kurz aus dem Fenster, drehte er sich zu uns und schüttelte seinen Kopf: “There will be no ferry today!” („Heute wird keine Fähre mehr fahren“).
Es folgten einige Telefonate und dann die Gewissheit, heute geht wirklich keine Fähre mehr. Wir waren gestrandet. Damit hatten wir nicht gerechnet. Wir hatten nichts bei uns, außer den Sachen, die wir am Körper trugen und unseren Kameras. Keine Zahnbürste, nichts zum Waschen oder Klamotten zum Wechseln.
Aber Pete organisierte uns ein Hotel in der Nähe – das einzige Hotel auf Sandoy. Nach einer kurzen Nacht fuhren wir am nächsten Morgen kurz vor 6 Uhr früh auf die Fähre – die Einzige, die an diesem Tag fahren sollte.
Es war eine der schauckeligsten Schiffsfahrten, die ich je erlebt hatte. Meterhohe Wellen, auf denen das Schiff wie eine Wallnussschale hin und her geschubst wurde. Bei diesen Naturgewalten konnte man nur hoffen, dass der Kapitän weiß, was er tut! Und er wusste es und brachte uns sicher in den Hafen. Nicht das Wetter war das Problem – das sind die Menschen hier gewohnt. Es war einzig und allein die Windrichtung, die drohte, das Schiff gegen die Hafenmole zu pressen und so die Einfahrt zu einem riskanten Unterfangen machte.
Merke: es ist nie verkehrt, eine Zahnbürste und Wäsche zum Wechseln dabei zu haben.
Múlafossur – der Wasserfall in Gásadalur
Man kann durchaus behaupten, dass der Wasserfall in Gásadalur einen der beeindruckendsten Anblicke der Färöer Inseln hervorbringt. Das Dorf mit seinem Wasserfall liegt ziemlich versteckt eingebettet zwischen hoch aufragenden Bergen im Norden, Osten und Süden und einem ins Meer abfallenden Kliff im Westen. Hier stürzt der markante Wasserfall aus rund 100 Metern ins offene Meer.
Das ist einer dieser Orte, den man erlebt haben muss. Ein Foto kann die Stimmung nur bedingt wiedergeben.
Man muss bedenken, dass Gásadalur bis 2006 ziemlich isoliert von der Außenwelt war. Bevor man den 1,7 Kilometer langen Tunnel durch den Berg gesprengt hat, mussten die Bewohner und der Postbote – der dreimal in der Woche unterwegs war – eine dreistündige Wanderung über den steilen und windgepeitschten südlichen Bergpass mit 464 Metern Höhe auf sich nehmen, bevor sie das nächste Dorf mit Straßenanbindung erreichten. Durch starke Stürme und die Steilklippen war auch der Seeweg keine zuverlässige Möglichkeit, den Ort zu erreichen. Schiffe würden einfach an den Klippen zerschellen. Der Wind ist oftmals so böig und verwirbelt, dass selbst der Wasserfall von unten nach oben “fällt”.
Von Mythen und Legenden, Trolle und Zwerge
Mythen und Legenden sind in der färöischen Kultur fest verankert. Es gibt Trolle und Riesen, Zwerge und Hexen, das Huldufólk und die Nixe Nykur, die in der Gestalt eines majestätischen Pferdes an Land geht und Ahnungslose mit auf den Grund des Sees Leitisvatn/Sørvágsvatn verschleppt. Am südlichen Ende des Sees befindet sich Trælanípa – der sogenannte Sklaven-Felsen – eine senkrechte Felswand, die 142 Meter aus dem Meer herausragt. Es heißt, dass einst Sklaven, die nicht hart genug gearbeitet haben, hier über die Klippe gestoßen wurden.
Die Legende von Risin und Kellingin erzählt von einem Riesen und einer Hexe. Die zwei lebten eigentlich auf Island. Sie waren so neidisch auf die Färöer Inseln, dass sie eines Nachts aufbrachen und versuchten, ein Seil um die Inseln zu schlingen und sie nach Island zu ziehen. Aber trotz aller Anstrengungen gelang es ihnen nicht. Sie waren so fest von ihrem Vorhaben besessen, dass sie nicht merkten, wie die Sonne aufging. Als sie die ersten Sonnenstrahlen trafen, wurden sie zu Stein und blicken heute noch sehnsüchtig zurück auf ihre Heimat Island.
Zu diesen Geschichten gesellen sich viele Weitere: Der Fußabdruck eines Riesens auf der Postroute nach Gásadalur, den er bei seinem Sprung zur Nachbarinsel Mykines hinterlassen hat. Oder das Huldufólk – graue, dunkelhaarige übernatürliche Wesen, die hinter Felsen und Hügeln leben. Mit ihren psychologischen Kräften versuchen sie, Menschen anzulocken, sie zu täuschen und Macht über sie auszuüben. Da das Huldufólk kein Licht mag, sollte man sich außerhalb von Ortschaften, in der Dunkelheit und in dichtem Nebel vor ihnen in Acht nehmen.
Grasbewachsene Häuser und ein Hauch vom Herrn der Ringe
Die typischen grasbewachsenen Häuser, die sich fast unscheinbar in die Landschaft integrieren, sind etwas, was die Färöer Inseln auf der ganzen Welt bekannt gemacht haben. Die Kirche von Saksun und das Haus eines Farmers direkt daneben haben über die sozialen Medien weltweiten Ruhm erlangt. So strömen in der Zwischenzeit die Touristen in die Bucht von Saksun um genau solche Fotos zu machen. Leider nehmen sie dabei keinerlei Rücksicht auf die Privatsphäre – sie klettern über Zäune, trampeln über die Wiesen und schauen in die Fenster der bewohnten Hütten. Verständlicherweise sind die Bewohner von dem plötzlichen Ruhm nicht so angetan. Dabei kann man auch mit etwas Abstand und Respekt hier schöne Bilder machen.
Die eine Woche ist schnell vergangen und noch immer gäbe es Dinge zu entdecken. Neben vollen Speicherkarten mit Hunderten von Fotos bringe ich vor allem eines mit nach Hause: Bleibende Eindrücke von einer einzigartigen, rauen und ungezähmten Natur und dem Wunsch, öfter zu entschleunigen.
Die Färöer Inseln, die Landschaft und Vegetation, die Berge, Wiesen und Seen und die vielen Mythen und Legenden. Man fühlt sich hier nicht selten an das Land der Hobbits und des Herrn der Ringe erinnert.
„Mein Schatz“, man muss ihn mit eigenen Augen gesehen haben.
Wer die Färöer Inseln einmal selbst erleben will, findet auf der Seite Visit Faroer Island viele wertvolle Informationen.
Schöne Fotos und schön geschrieben! ?